Cornelia Weißhaar-Günther: Wie wird aus Lieschen ein Bodhisattva?
Internationales Symposium: Frauen im Buddhismus, 7.-9. Febr. 1997, Frankfurt am
Main. Journal of Religious Culture / Journal für Religionskultur Nr. 27-09
(1999)
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Journal of
Religious Culture
Journal für Religionskultur
Ed. by / Hrsg. Von Edmund Weber
Institute for Irenics / Institut für Wissenschaftliche Irenik
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
ISSN 1434-5935- © E.Weber
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Nr.
27-09 (1999)
Wie wird aus Lieschen ein
Bodhisattva?
Die Vielfalt buddhistischer Praxis im Spannungsfeld zwischen Ideal und
Wirklichkeit
Von
Cornelia Weißhaar-Günther
Erst einmal, möchte ich mich sehr herzlich
für die Einladung hierher bedanken. Mein Name ist Weißhaar - Günther, ich
arbeite an der Universität Erlangen als Lehrbeauftragte für Tibetisch und bin
ansonsten Übersetzerin und auch praktizierende Buddhistin.
Auf was ich in diesem Vortrag vor allem
aufmerksam machen möchte, ist die Laienpraxis, deswegen auch im Titel
"Lieschen". Unter Lieschen verstehe ich einfach eine ganz normale
deutsche Frau, die ganz normal lebt, sei es, daß sie berufstätig ist, sei es,
daß sie Kinder hat, wie auch immer, die jetzt Buddhismus praktizieren will und
dabei damit rechnen muß, eine ganz unbeachtete Erscheinung zu sein und
männliche Lehrer zu haben, denn in der tibetischen Tradition sind weibliche
Lehrerinnen bisher eine sehr große Seltenheit. Sie werden es wohl auch für
längere Zeit bleiben, weil wir an unsere Lehrer so hohe Anforderungen haben,
daß man wohl damit rechnen muß, daß es Generationen dauern wird, bis wir
wirklich so weit sind, daß wir Lehrerinnen produzieren können.
Wenn wir die tibetische Tradition anschauen,
haben wir wenige Frauen - Vorbilder oder auch Lehrerinnen die prominent waren,
wir hatten ja gestern ein Beispiel von einer Frau Rinpoche und auch ich habe
eine tibetische Lehrerin unter meinen LehrerInnen, aber es ist selten.
Das heißt aber nicht, daß Frauen in Tibet
keine Realisation hatten. Ich glaube sehr wenige Leute wissen was mir schon
viele Lehrer erzählt haben, daß viele, ganz unauffällige Hausfrauen oder
Yoginis in den Bergen, bei ihrem Tod, ganz starke Anzeichen für Realisation
hatten. In der tibetischen Tradition ist das der einzige Moment, in dem man
manchmal wirklich sehen kann, daß jemand eine hohe Realisation gehabt hat, eben
an der Art wie jemand stirbt, daß er Anzeichen zeigt von Meditation, die ein
normaler Mensch nicht zeigen kann.
Diese Frauen waren oft überhaupt nicht
auffällig in ihrem Leben und hatten dementsprechend wenig Schüler oder hatten,
im Fall von Hausfrauen, vielleicht auch gar keine Schüler und sie haben kaum
schriftliche Dinge hinterlassen. Auch die wenigen, in den Bergen
praktizierenden Yoginis, hatten oft nur einige, ganz wenige Schüler. Ich weiß
z. B. von den heute lebenden Lehrern Namkhai Norbu Rinpoche und Kamatine
Rinpoche, daß sie solche Lehrerinnen gehabt haben. Diese haben aber nur ganz,
ganz wenige SchülerInnen angenommen, die sie in den Bergen aufgesucht haben.
Diese beiden, heute lebenden, männlichen Lehrer, respektieren diese Lehrerinnen
sehr.
Im großen und ganzen sind es aber einfach
unauffällige Erscheinungen gewesen und ich glaube das für Lieschen allein der
Gedanke, daß es diese Frauen in Tibet gegeben hat, eine sehr starke Inspiration
sein kann, denn diese Frauen, wo werden die gelernt haben? Wahrscheinlich auch
von männlichen Lehrern, so wie wir es machen müssen.
Und jetzt habe ich mir einfach überlegt, wie
wird das abgelaufen sein? Welche Belehrungen werden diese Frauen bekommen
haben. Da die tibetische Tradition sehr, sehr konventionell ist, was die
Weitergabe der Überlieferungen betrifft und sich wirklich bemüht hat möglichst
nichts neues zu erfinden, sondern alles so weiterzugeben, wie man es vom
eigenen Lehrer gehört hat und weitergegeben und wieder gehört hat, usw. Bei all
dem und das über tausend Jahre hinweg, kann man davon ausgehen, daß diese
Unterweisungen ziemlich stabil waren und bis auf wenige philosophische Details,
wie man mit historischen Untersuchungen der Entwicklungen auch feststellen kann,
relativ konstant geblieben sind.
Wenn nun also Lieschen sich entschließt
Buddhismus zu lernen, wird das erste, was ihr Lehrer ihr beibringt, in ungefähr
das sein, was man in der Kagyü - Tradition, einer der tibetischen Traditionen,
als die "vier Gedanken, die dem Geist dem Dharma zuwenden"
bezeichnet. Das bedeutet, der Lehrer wird ihr etwas über das "kostbare
Menschendasein" beibringen, er wird über "Vergänglichkeit und
Tod" sprechen, über Karma und über die Nachteile von Samsara (Kreislauf
der Existenzen).
Diese Unterweisungen mögen vielleicht für
diejenigen von uns, die Buddhisten sind, banal, einfach erscheinen, sind aber
in Tibet tatsächlich schon für fortgeschrittene Praktizierende gedacht. Ein
Mensch, der sich nicht speziell für die Praxis interessiert, wird sich damit
begnügt haben heilsame Handlungen durchzuführen und so existentielle Fragen,
wie z.B. "Vergänglichkeit und Tod", gar nicht so stark jeden Tag
praktiziert oder reflektiert haben.
Es ist also tatsächlich eine relativ
fortgeschrittenen Praxis, die zu einer starken inneren Reifung führt, wenn man
sich mit diesen Dingen wirklich ernsthaft auseinandersetzt.
Und wenn Lieschen ein Bodhisattva werden
will, wie der Titel ja sagt, wenn also Lieschen das große Ideal hat, mal für
alle Lebewesen sehr, sehr nützlich zu sein, dann wird sie also damit anfangen
müssen erst einmal ganz tiefgründig über ihre eigenen Existenz nachzudenken.
Das besondere daran ist, daß man damit auf eine existentielle Basis geführt
wird, in der der spezifische persönlich Zustand nicht mehr so wichtig ist. Das
bedeutet, daß wir erkennen, daß das "kostbares Menschendasein", etwas
ist, was alle Praktizierenden betrifft, der zweite Punkt, daß wir sterben
müssen das betrifft auch alle, Mann, Frau, ganz egal auch wie man sonst geartet
sein mag, Karma, das heilsame und unheilsame Handlungen ihre Wirkungen haben,
auch das betrifft alle und der Daseinskreislauf in dem gesamten Prozeß von
Geburt und Tod betrifft auch alle. Das bedeutet also, wenn man sich damit
auseinandersetzt, dann wird man insgesamt auch etwas einfacher strukturiert
werden, daß heißt, man wird nicht mehr an bestimmten psychologischen Zuständen
so stark klammern. Damit will ich nicht sagen, daß Therapeuten überflüssig
werden, aber ich will sagen, daß vielleicht kleinere Probleme dadurch
unwichtiger erscheinen und daß man sich auch besonders stark verändern kann,
wenn man nicht an bestimmten persönlichen Aspekten festhält. Und dazu gehört
auch männlich und weiblich!
Ich zitiere aus einem Text, in dem das
letztendliche Ziel als frei von männlich und weiblich beschrieben wird. Hier
erscheint dem Shariputra eine Göttin und diese Göttin wird jetzt von Shariputra
in typisch männlicher Überheblichkeit gefragt:
"Was hindert dich daran, deinen
weiblichen Zustand zu ändern". Und die Göttin sagt: "Obwohl ich
meinen weiblichen Zustand zwölf Jahre lang gesucht habe, habe ich ihn noch
immer nicht gefunden. Ehrwürdiger Shariputra, wenn ein Magier eine Frau herbei
zauberte, würdest du sie dann fragen, was hindert dich daran, deinen weiblichen
Zustand zu ändern?" Shariputra antwortete: "Nein, denn so eine Frau
würde nicht wirklich existieren, also was könnte es geben, was sich ändern
ließe?" und die Göttin sagte: "Genauso, Shariputra, ist es bei allen
Dingen".
Und das bedeutet also, daß das weibliche
Element etwas vorübergehendes ist, genauso wie unsere gesamte Konditionierung,
die gesamte psychologische Konditionierung. Was aber natürlich nicht heißt, daß
wir relativ nicht damit arbeiten müßten. Aber eben diese Gedanken an sich führen
uns schon mal einen Schritt weiter und machen uns das alles etwas einfacher und
leichter.
In sehr hohen tantrischen Praktiken wird von
den Praktizierenden noch mehr verlangt.
Nämlich daß man sich als männlich und
weiblich gleichzeitig vorstellt und das auch noch im weiblichsten, bzw.
männlichsten Akt, den es überhaupt gibt und man muß fähig sein gleichzeitig
beide Aspekte zu verkörpern. Und da zeigt sich, wenn ich übersetze für Lamas,
daß da immer Schwierigkeiten kommen. Z.B, daß sich Männer nicht so gerne die
weibliche Rolle vorstellen und daß die Frauen Schwierigkeiten haben sich eine
Vereinigung mit einer Frau vorzustellen. Das sind aber vorübergehende Dinge,
alle die in der Praxis fortschreiten, gewöhnen sich relativ schnell, eigentlich
innerhalb von ein paar Wochen daran, dadurch, daß sie sich einfach vor Augen
halten, daß das ein momentaner Zustand ist. Und durch die Vorstellung des
tiefgründigen, was eigentlich entwickelt werden und angeregt werden soll, ist
man dann bereit sich darauf einzulassen.
Wir dürfen nie vergessen, daß es im
Buddhismus sehr stark um eine Dekonditionierung geht.
Das also die Aspekte, durch die wir jetzt
geprägt und eingeschränkt sind, die auch unsere
ganze Geschichte ausmacht, daß wir die zwar
einerseits annehmen müssen aber andererseits eben auch lernen müssen, die nach
und nach zu überwinden und unser volles Potential zu entwickeln.
Dann gibt es da natürlich ein Problem, das
wir Frauen alle haben, wir hätten gerne weibliche Vorbilder. Und hier fehlt es
eben vorläufig, aufgrund der Strukturen in Tibet damals, wo eben die weiblichen
Praktizierenden, wenn es sie gab meistens nicht respektiert waren und sich
wenig geäußert haben. Es gibt aber ein hoch interessantes Zitat von dem Kagyü
Rinpoche, der um 1600 gelebt hat. Er schreibt in dem Text "zusammengefaßte
Essenz der kombinierten Praxis von Mahamudra und Dzogchen ein Kommentar zur
Praxis des Großen Mitgefühlvollen": "Wenn du ein Hauptschüler sein
willst ist es notwendig dich auf einen einzigen Meister zu konzentrieren und damit
zufrieden zu sein. Aber wenn du die Erfahrung und Realisation wünschst, ist es
tiefgründiger, alle Lehrer denen du begegnet bist, meditativ in einem Lehrer zu
verbinden". Das bedeutet also, hier ist mehr oder weniger eine fast
direkte Aufforderung mehrere Lehrer in Anspruch zu nehmen, weil jeder Lehrer
wieder unterschiedliche Aspekte anregen kann. Eine Ausnahme gibt es nur dann,
wenn man vielleicht Linienhalter werden soll. Dann ist es natürlich sehr, sehr
wichtig mit dem eigenen Lehrer sehr eng zusammenzuarbeiten und dieser eine
Lehrer der reicht dann auch, sagt Dilgo Kyentse dazu in seinem Kommentar genau
zu dieser Stelle.
Aber für Lieschen jetzt, die keine Hoffnung
hat eine große Lehrerin zu werden, bedeutet diese Aussage mehrere Lehrer zu
haben. Und das bedeutet die Unmöglichkeit den eigenen Lehrer zu kopieren, so
daß Lieschen von dem Moment an, in dem sie mehrere Lehrer hat, gezwungen ist
ihren eigenen Weg zu finden und es sich nicht mehr so einfach machen kann, daß
sie einfach sagt, so der eine Lehrer sagt mir jetzt genau wie und ich werde
genauso wie er. Und damit wird es auch wieder relativer, ob der Lehrer jetzt
ein Mann oder eine Frau ist.
An dieser Stelle kann ich von mir persönlich
noch sagen, daß ich also zehn verschiedene Lehrer und darunter eine Lehrerin
habe. Diese habe ich zuletzt kennengelernt und hatte natürlich sehr große
Hoffnungen, daß mit dieser Lehrerin jetzt also eine Art von Kommunikation
möglich sein wird, die ich noch nicht kenne, daß sie mich in ganz anderer Art
und Weise verstehen wird usw. Und ich kann nur sagen, es war genauso wie immer,
sie hatte wenig Zeit und war auch eine ganz andere Persönlichkeit als ich, wie
jede/r meiner LehrerInnen eine andere Persönlichkeit hat als ich sie habe. Und
es kristallisierte sich einfach heraus, daß ich mit allen LehrerInnen eine
Beziehung in dem Sinn ausarbeiten muß, damit sie mir in bestimmten Aspekten der
Praxis helfen und daß ich wegen anderer Aspekte eben zu einem anderen Lehrer
gehe. Und den roten Faden muß man dann eben selbst finden.
Wenn wir, gerade im tibetischen Buddhismus,
immer darüber sprechen, daß man dem Lehrer gehorchen sollte, betrifft daß vor
allem den Fall, daß wenn ich um eine bestimmte Unterweisung gebeten habe, ich
mich dann damit auch dazu verpflichte diese zu praktizieren. Aber das bedeutet
eben nicht, daß ich in allen möglichen Aspekten eine Kopie des Lehrers oder der
Lehrerin sein muß. Und aus diesen Gründen ist dann auch das Geschlecht des
Lehrer nicht ganz so wesentlich.
Trotzdem fehlt natürlich diese weibliche Art
der Kommunikation. Hier denke ich ist die Dharma - Freundin eigentlich
wichtiger als die Lehrerin, weil die Lehrerin kaum Zeit haben wird, wie immer
und es ist auch die Frage ob es der Rolle der Lehrerin sehr gut tut, wenn sie
zu nah kommt und zu sehr auf einer Ebene mit einer ist. Und das, was wir Frauen
uns ja wünschen, ist vor allem eine Kommunikationspartnerin auf absolut
gleicher Ebene. Ein sehr enges Verhältnis, das ist ja die typische
Frauenfreundschaft, so wie ich sie verstehe und da kann man mit Dharma
Freundinnen eigentlich sehr weit kommen und sehr viel weiter suchen. So sehr
wir uns eben eine Lehrerin wünschen, ich gehe jetzt im Moment von der Situation
im tibetischen Buddhismus aus, wir müssen damit leben, daß es das kaum gibt.
Und das wir in Dharma Freundinnen finden, was wir brauchen oder nötig haben.
Wenn ich also jetzt die These vertrete, daß
man doch recht frei ist, daß man also von den verschiedenen Lehrern verschieden
Aspekte annimmt und das ganze dann mit einem eigenen roten Faden verbindet,
dann könnte sich die Frage stellen, ob man dann nicht auf den Lehrer, die
Lehrerin verzichten kann. Also einfach nur mit Freunden und ein bißchen Studium
von Büchern oder so was. Und da sehe ich eine gewisse Gefahr hier im Westen,
daß wir mehr und mehr Praktizierende haben, die vielleicht zu diesem Schluß
kommen und aus dem Grund ist es mir auch ein Anliegen da etwas dazu zu sagen.
Ich beziehe mich hier auf einen Lama aus Manchester, der immer wieder betont,
daß das, was wir vom Lehrer lernen so eine Art Schlüssel ist. Also die
Überlieferung ist ein Schlüssel, mit dem sich jede/r einzelne dann sein eigenes
Haus quasi aufschließen kann und sich das möblieren kann usw. Aber es ist ein
Schlüssel, der übergeben werden muß. Und diese Schlüssel sind auch das, was in
der tibetischen Überlieferung so konstant geblieben ist, wie ich es oben
bereits angedeutet habe, obwohl doch die einzelnen Praktizierenden die
Zeitumstände usw. sich stark verändert haben.
Es ist auch deshalb wichtig weil, ich zitiere
jetzt hier, als einen für viele Lamas, der hat wohl ca.1600 gelebt, in den
"Siebenunddreißig Praktiken der Bodhisattvas" ein vom Dalai Lama sehr
bevorzugter Text, in dem für die Praxis die Dreiheit hören, nachdenken und
meditieren genannt wird. D.h. zunächst hören wir. Und wenn dieses Hören in
manchen modernen Büchern jetzt gleich gesetzt wird mit Lesen, finde ich das
nicht korrekt und zwar deshalb, weil man, wenn man ein Buch liest, den Text
einfach überfliegt, "das interessiert mich", da bleibt man hängen,
oder z. B. "heilsame Handlungen, wie langweilig" und dann liest man
wieder weiter. Aber wenn man zu einem Lehrer geht und um eine Belehrung gebeten
hat und ihm dann auch dementsprechend aufmerksam zuhört, dann wird man immer
wieder mit Dingen konfrontiert, die einem vielleicht nicht so leicht fallen,
und ich glaube, daß das für die Praxis unbedingt notwendig ist, sich dieser
Situation immer wieder auszusetzen, die Überlieferung wirklich zu hören und in
dieser Form aufzunehmen und nicht einfach nur zu lesen.
Ein Beweis hierfür ist auch, daß das Hören
der Überlieferung, dann die Phase des Nachdenkens wo man dann versucht, daß mit
sich selbst zu vereinbaren, zu integrieren und schließlich das darüber
meditieren, wo man dann versucht das praktisch umzusetzen, daß dieser Prozeß zu
ganz verschiedenen Ergebnissen führen kann.
Das sehen wir auch sehr schön an der Kagyü
Tradition. Marpa, Milarepa und Gampopa waren Lehrer und Schüler zueinander und
vollkommen verschiedene Menschen.
Marpa war ein Übersetzer in dessen Biographie
steht, daß er äußerst konkurrenzsüchtig war. Er wetteiferte mit einem anderen
Übersetzer, wer hat die tolleren teachings, die schöneren Belehrungen bekommen
habe, und "der hat das bekommen und das muß ich jetzt auch kriegen, ich
werde doch nicht etwa da hinterher hinken". Und auch später, in Tibet
dann, finden wir immer noch ein ähnliches Verhalten. Als er schon lange Lehrer
war, hat er sich mit seinen Nachbarn herumgestritten bis zum "Geht nicht
mehr". Er war eben nach außen hin ein ganz normaler Laie, der eine ganz
bestimmte Art von Persönlichkeit hatte, in der wir Schwierigkeiten hätten die
Realisation zu erkennen. Aber wie auch immer, er war ein großartiger Lehrer,
der diese Schlüssel der Überlieferung weitergeben konnte.
Sein Schüler Milarepa war dann ein Yogi, der
vollkommen zurückgezogen gelebt hat, sich von allen Kontakts zu anderen
enthalten hat und einfach ganz konzentriert diese Praxis, diese Meditation
gemacht hat.
Dessen Schüler wiederum, Gampopa, war noch
ein anderer Typ. Er war ein Mönch, der eine Mönchstradition, ein Kloster
begründet hat auf das sich dann die Kagyü Tradition aufbaute konnte, der also
dann, wenn man so will, eher ein Politiker war.
Er vertrat also eine sehr reine Mönchspraxis,
während die anderen beiden Laien gewesen waren und diese verschiedenen Menschen
konnten aber alle die selben Schlüssel auf ihr Leben anwenden und damit ihren
Weg finden. Und ich denke genau das kann Lieschen in ihrer Situation eben auch
tun und braucht nicht unbedingt das Vorbild des Lehrers dazu.
Ich möchte jetzt mal ein längeres Zitat
vorlesen, dieser Lama lebte von 1808 -1888 in Tibet und ist mehr oder weniger
freiwillig diese Art von Hausfrau. Er ist ein Mann, der eigentlich als
Rinpoche, als Tulku, alle Möglichkeiten gehabt hätte für eine große Karriere,
er hatte auch die entsprechende Ausbildung. Aber er verzichtete freiwillig, um
die Praxis authentischer zu machen, um zu wandern und er wurde meistens
überhaupt nicht erkannt.
Es gibt viele, viele Geschichten über ihn,
daß er z.B. einer Frau Schuhe getragen hätte, also das niedrigste vom niedrigen
in Tibet, weil die nicht wußte, wen sie vor sich hatte. Und diese Frau dachte
dann hinterher "oh je, was hab ich getan". Also solche Geschichten.
Er war ein sehr markanter Lehrer dessen
Bücher sehr zu empfehlen sind. In "Das Herzjuwel der Erleuchteten",
im Theseus - Verlag erschienen, steht die Stelle, die ich hier vorlesen will.
Und ich bitte darauf zu achten, wie hier sowohl das männliche Klischee, als auch
das weibliche Klischee in Frage gestellt wird, damit man auf existentiellere
Werte kommt. Als männliches Klischee bezeichne ich hier mal die Bestrebung
Führungspositionen zu haben, Lehrer zu sein und als weibliches Klischee
bezeichne ich hier jetzt mal, den Wunsch nach einer Beziehung, die gegenseitig
und sehr eng ist. Er sagt also: "In diesem dunklen Zeitalter ist alles was
die Menschen denken und tun voller Gemeinheit, Keiner wird dir jemals helfen.
Sie betrügen und überlisten dich. Schwierig ist es auch für dich, ihnen zu
helfen. Wäre es nicht das Beste aus diesem niederträchtigen Wirrwarr
auszusteigen? Du dienst denen, die über dir stehen. Nie freuen sie sich
darüber. Du sorgst für die, die unter dir stehen. Nie sind sie zufrieden. Du
kümmerst dich um andere, sie kümmern sich nicht um dich. Bedenke dies und fasse
deinen Entschluß. In diesen Zeiten gelehrt zu sein, hilft den Lehren nicht, es
führt nur zu noch mehr Diskussionen. In diesen Zeiten verwirklicht zu sein,
hilft den anderen nicht, es führt nur zu noch mehr Kritik. In diesen Zeiten
eine verantwortliche Position zu haben, hilft nicht das Land gut zu regieren,
es führt nur zu Aufstand. Voll Sorge und Überdruß denke über diese Zeiten nach.
Wenn dein Verhalten mit dem Dharma übereinstimmt, bringst du alle gegen dich
auf . Wenn deine Rede aufrichtig ist, ärgern sich die meisten darüber, wenn du
einen guten lauteren Geist hast, halten sie das für ein Gebrechen. Dies ist die
Zeit dein Wesen zu verbergen. Überdruß, weil man niemanden trauen kann. Trauer,
weil alles bedeutungslos ist. Entschlossenheit, weil die Zeit nie ausreicht,
alles zu erlangen, was du möchtest. Wenn du diese drei immer im Sinn hast, wird
dir das nicht zum Schaden gereichen.
Wer viel von anderen erwartet, muß stets
freundliche Miene machen. Wer sehr anspruchsvoll ist, muß sich mit vielen
Bedürfnissen herum schlagen, wer Pläne für dieses und jenes macht, dessen Geist
ist voll von Hoffnung und Angst. Von nun an, komme was da mag, mache nicht mehr
mit! Auch wenn du heute sterben mußt, warum darüber traurig sein? So ist
Samsara. Auch wenn du hundert Jahre bist, warum darüber glücklich sein? Deine
Jugend ist schon längst entschwunden. Ob du lebst oder im nächsten Augenblick
stirbst, was bedeutet schon dieses Leben? Jetzt gleich, auf der Stelle,
praktiziere den Dharma für das nächste Leben. Darauf kommt es an".
Ich denke diese Zitat drückt besonders klar
und deutlich diese innere Haltung aus, mit der man praktizieren muß. Also
praktisch eine vollkommene Desillusionierung. Desillusionierung ist ein Wort
mit dem ich manchmal auch gerne das Wort Entsagung übersetzte. Es geht darum
für die Praxis, auch die des Bodhisattva, für das anderen helfen, eine Basis zu
finden, die wirklich frei ist von Hoffnung und Furcht, also das man nicht hofft
irgendwas bestimmtes in diesem Leben zu erreichen oder Angst hat es nicht zu
erreichen und das bedeutet auch, daß eine Position zu haben, unwichtig ist für
eine solche Praktizierende. Ich rede jetzt nur von den Praktizierenden, nicht
vom politisch berechtigten Aspekt der Frauen auch eine Rolle zu spielen,
sondern das für eine Praktizierende die Position unwichtig ist.
D.h. sie kann es annehmen, wenn es auf sie zukommt warum nicht, das ist ja
nicht so wichtig, aber sie braucht es nicht, wenn es nicht auf sie zukommt. Und
das ist z. B. auch ein Kriterium ob jemand reif ist LehrerIn zu sein, denn
solange man diese Hoffnungen noch hat selber LehrerIn zu sein, ist das
eigentlich ein negatives Zeichen. So sagt jedenfalls DagyabRinpoche, einer
meiner Lehrer.
Und da besteht ein bißchen die Gefahr für
Lieschen, daß sie z. B. meint, gut ich mache jetzt mal diese Anfängerphase, mit
diesen vier Gedanken durch, und ich praktiziere so wie Patcha Rinpoche und dann
irgendwann ... , irgendwann kommt der Durchbruch und ich werde brillieren, ich
werde eine brillante Lehrerin sein u.s.w. Das ist also ein Punkt auf den
Lieschen ganz bestimmt achten muß und man könnte also hier, ein bißchen
provokativ, sagen, je weniger Chancen auf eine solche "hohe Position"
bestehen, um so besser ist es für die Praktizierende. Und ich glaube, daß hier
die Ursache dafür zu sehen ist, daß die Frauen in Tibet, dann, wenn sie
praktiziert haben, mit einem so hohen Erfolg praktiziert haben. Die Mehrzahl
hat wohl einfach Opfergaben dargebracht und die Praxis, die schon
fortgeschritten auf die Essenz abzielt war eher die Ausnahme, aber wenn, dann
scheint es, nach dem was mir einige tibetische Lehrer erzählt haben, bei den
Frauen besonders schnell durchschlagend gewesen zu sein. Und in Tibet war es
nun wirklich so, daß die Frauen sich da nicht allzu große Hoffnungen machen
konnten, es gibt das tibetische Sprichwort "Wenn du einen Herrn willst,
dann mache deinen Sohn zum Mönch und wenn du eine Dienerin willst, mache deine
Tochter zur Nonne". Also in Tibet war es für Frauen wirklich eine
besondere Entscheidung, Dharma so ernsthaft zu praktizieren.
Ich will jetzt noch beweisen, daß dieser
Rinpoche nicht der einzige ist, der Dharma Praxis auf so eine ganz essentielle
Basis stellt. Ich will hier auf die Sakya Tradition hinweisen. Der Begründer Sachen
Künga Nyingpo, 1092 -1158,hat in einer Vision des Manjushri, die als
Grundbelehrung in der Sakya – Tradition gilt, als ersten Satz," Wenn du
für dieses Leben Wünsche hast, bist du kein Dharma Praktizierender". Also
eine sehr direkt Aussage, aber das vergessen wir sehr leicht und deswegen wird
Lieschen, wenn sie eben nicht versucht auf dieser essentiellen Basis zu
praktizieren, oft enttäuscht werden. Denn sehr oft erwarten wir vom Buddhismus
besondere psychologische Ergebnisse oder so was, finden die dann nicht, haben
nach 20 Jahren immer noch Haß, ich z.B., oder Anhaftungen und diesen und jenen
Fehler. Dann denken wir, daß sich das Ganze wohl nicht gelohnt hat und hören
auf.
D.h. also, Lieschen hat sich mit diesen
Sätzen sehr früh und immer wieder und wieder auseinander zu setzen. Das ist
wesentlich, wenn man Buddhismus überhaupt mit Erfolg praktizieren will. Ganz
besonders in unserer Kultur.
So und nach dieser langen Vorbereitung kommen
wir jetzt endlich direkt zur Bodhisattva - Praxis. Bis jetzt wirkt das so ein
bißchen, als ob man sich um niemanden kümmern müßte. Dem ist aber nicht so. Es
ist lediglich so, daß eine innere Freiheit oder innere Unabhängigkeit von
äußeren Umständen die Voraussetzung ist, um sich dann, nach den buddhistischen
Idealen, unparteiisch um alle und wirklich ganz von Herzen kommenden um andere
kümmern zu können.
Das finden wir jetzt bei Tsongkhapa, 1357 -
1419. im großen "Stufenweg zur Erleuchtung", dort heißt es:
"Wenn man die Leiden des Daseinskreislauf überdenkt und dabei auf sich
selbst bezieht, entwickelt man dadurch Entsagung. Wenn man diese gleichen
Leiden überdenkt und dabei auf andere bezieht, entwickelt man dadurch
Mitgefühl. Wenn man jedoch nicht zuerst in Betrachtung seiner selbst übt, verpaßt
man das wesentliche".
Hier haben wir auch die Antwort auf das
Problem von vielen Leuten, die, wenn sie etwas über die Bodhisattva Praxis
hören, fragen "Ja, kriegen wir jetzt nicht das Helfersyndrom, Könnte es
nicht sein, daß wir jetzt nicht mehr leben können, ohne anderen zu
helfen?" usw. Die Antwort finden wir genau hier. Also d.h., wenn die
Praxis existentiell genug ist, wir uns unserer eigenen Vergänglichkeit klar
genug sind, dann werden wir eher sehen, daß der andere in der selben Situation ist,
wie wir selbst. Und aus diesem Gefühl der Verwandtschaft heraus, entwickelt
sich dann nach und nach Liebe. Das sollte jedenfalls passieren, ich kann das
aber nicht aus eigener Erfahrung sagen, aber, so ist die Theorie.
Es geht also nicht um das Aufgeben der Beziehungen
zu Lebewesen, sondern es geht darum, daß man diese Beziehungen zu den Lebewesen
dann letztlich vertieft. Das man den existentiellen Aspekt sieht, sieht daß man
eben z. B. das Leiden als normalen Aspekt der menschlichen Beziehung sehen und
ganz tief akzeptieren muß und zwar in dem Sinne, daß man es im anderen
furchtlos sieht, man sich z.B. nicht abwendet von Alten und Kranken, was ja in
unserer Kultur der Fall ist, sondern daß man das eben unterstützt und da dann
hilfreich tätig wird, aus innerem Ansporn heraus.
Wie man das macht, dazu gibt es sehr
ausführliche Anweisungen, jetzt mache ich Eigenwerbung und zwar gibt es
demnächst im Theseus - Verlag eine neues Buch das nennt sich
"Sonnenstrahlen des Geistestrainings" und das habe ich zusammen mit dem
Geshe Thubten Ngawang aus Hamburg, mit Unterstützung des tibetischen Zentrums,
übersetzt. Das Buch stammt von einem Schüler Tsongkhapas, und in dem wird ganz
ausführlich beschrieben, wie man diese Liebe in den verschiedenen Stufen
entwickelt. Dort wird zunächst einmal von diesen vier Gedanken als Basis
ausgegangen und dann wird eben beschrieben wie man die Mutter - Kind -
Beziehung nutzt usw. Das wird dann immer mehr ausgeweitet auf immer mehr
Lebewesen. Ich möchte hier auf ein Wort hinweisen und zwar heißt es immer, man
muß dahin kommen alle Lebewesen in einem angenehmen Aspekt zu sehen. D. h. man
empfindet dann die Lebewesen, wie ein einziges Kind. Es geht nicht um eine
künstliche Form von Liebe, die Lieschen hier entwickeln soll, sondern es geht
darum zu üben und diese Verwandtschaft zu empfinden, bis man sich freut andere
zu sehen, man wirklich diesen angenehmen Aspekt dann empfindet, wenn man andere
sieht, was für uns normalerweise ja nicht so ist, wir brauchen längere Zeit der
Bekanntschaft und der Freundschaft bis wir uns mal wirklich freuen jemanden zu
sehen. Aber diese Praxis soll also dann dahin führen, daß wir jedes Lebewesen,
auch wenn wir es noch gar nicht kennen, wie ein einziges Kind sehen.
An dieser Stelle möchte ich ganz gerne noch
mal zu dem Vortrag von Frau Dr. Herrmann - Pfandt von gestern eine Anmerkung
machen. Sie sprach davon, daß die Unreinheit des Körpers etwas war, was sie bei
den Nonnen in den Liedern nie gefunden hat und das finde ich einen sehr
interessanten Aspekt, den wir untersuchen müßten, denn zumindest ist mir bis
jetzt noch keine Frau begegnet, die gesagt hat, daß sie diese Art von
Meditation nützlich finden würde. Ich weiß auch, daß die tibetischen Mediziner
Gelübde ablegen müssen, Ausscheidungen niemals als unrein zu empfinden, und es
könnte sein, daß wir Frauen einfach so stark über den Beziehungsaspekt
arbeiten, so sehr an Kinderpopos gewöhnt sind wie an den Umgang mit unserer
Menstruation, daß wir diese "Unreinheit" sogar als Anlaß zur Liebe
nehmen. Das könnte ich mir vorstellen, aber das ist jetzt nur eine Phantasie,
eine Anregung, was wir vielleicht mal diskutieren könnten, oder wo wir sehen
könnten, wie andere Buddhistinnen, auch gerade in anderen Ländern, das sehen.
Zu dieser Ausdehnung der Liebe gibt es noch
einen sehr schönen Gedanken "Wer Anhaftungen hat, der leidet weil eine
geliebte Person nicht da ist. Ohne Anhaftung genießt man immer die Person, der
man gerade begegnet" D.h. also, es gibt unheimlich viel Freiheit. Das ist,
denke ich ein Aspekt, der auch in der normalen Familienbeziehung bei uns noch
zu schwach ist, daß da eben bloß an die eigene Familie gedacht wird oder nur an
den eigenen Mann oder immer nur an das eigene Kind.
Zum Abschluß wollte ich dann zu den
eigentlichen Bodhisattva Praktiken etwas sagen. Ich werde aus dem aus dem Text
"Klare Darstellung der Gedankengänge des Mönchs" von Sakya Pandita
1182 - 1251, jeweils ein oder zwei Sätze herausnehmen und dazu sagen wie man
das in unserem Alltag meines Erachtens besonders leicht praktizieren kann oder
welche nützlichen Überlegungen man dabei haben kann, damit Lieschen damit
fertig wird, daß sie eben im Moment kein Bodhisattva sein kann, einfach nicht
so weit ist in ihrer Praxis, aber trotzdem nicht verzweifelt. Denn dieses
Problem ist glaube ich für viele von uns immer und immer wieder ein Thema.
Die erste von diesen sechs sogenannten
Vollkommenheiten oder paramitas ist das Geben.
Ein sehr hohes Ideal, daß man in Geschichten
von früheren Leben des Buddha findet. Z. B., daß Buddha seinen Körper einfach
so geben konnte für eine Tigerin, die Hunger hatte, solche ganz dramatischen
Geschichten, während unsere Ebene dann eher die ist, daß man Wasserschalen vor
einer Buddhastatue aufstellt und sich dabei die guten Qualitäten des Buddha
vergegenwärtigt, aber da ist eine ganz weite Spanne dazwischen.
In einem Sutra heißt es:"den Hungrigen
Speise zu geben und Kleider, Heilmittel und Geld denjenigen, die es benötigen,
ist im wesentlichen eine geistige Übung. Selbst wenn du dazu bereit wärst gib
nicht deinen Kopf , deine Beine, Hände oder andere Körperteile, bevor du nicht
die Geduld der Geburtslosigkeit (also einen sehr hohen geistigen Rang) erlangt
hast". D. h. es ist im wesentlichen eine geistige Übung und das ist etwas,
womit wir uns, so denke ich, abfinden müssen. Also, soziales Engagement ist
absolut wichtig und ich stimme auch mit den anderen Referentinnen überein, daß
das im Buddhismus in Zukunft stärker in den Vordergrund kommen muß. Aber um
nicht am eigenen Anspruch zu verzweifeln, ist es auch sehr wichtig, zu wissen,
daß die geistige Übung die Vorbereitung dafür ist und zunächst unsere Praxis.
Und das Umsetzen entwickelt sich dann immer mehr von innen heraus, denke ich,
also der Wunsch nicht mehr untätig zuzuschauen. Und wir leben ja auch nicht
abgeschieden, sondern mitten in der Gesellschaft und haben also jede Menge
Möglichkeiten um aktiv zu werden.
Das Geben wird eingeteilt in materielle
Gaben, Dharma geben, also das kann dann sein, daß man Freunden den Tip gibt,
das und das ist ein gutes Buch, insofern habe ich ihnen vorher schon Dharma
gegeben, als ich ihnen den Pantschen Rinpoche empfohlen habe, Liebe geben und
Furchtlosigkeit oder Schutz, daß man Wesen die in Gefahr sind schützt. Es gibt
also sehr, sehr viele Varianten davon.
Dann zur ethischen Disziplin. Das ist ein
sehr weites Thema und ich zitiere hier wieder Sakyapandita , der hier nur eine
bestimmte Form von ethischer Disziplin nennt: "Ethische Disziplin ist das
Vermeiden unguten Verhaltens zum Wohle anderer. Es ist eine beständige
Achtsamkeit, die darauf gerichtet ist, negative Dinge und ihre Ursachen zu
beseitigen, um andere möglichst effizient zu unterstützen." Das heißt also
wir können hier sagen, daß Ethik in diesem Rahmen ganz und gar auf Einsicht
beruht, also darauf, daß wir sehen, wenn ich mich so und so verhalte bringe ich
etwas negatives für andere.
Bei Nonnen ist es so, daß sie sozusagen einen
Blanko Scheck für die gesamte Liste unterschreiben, bevor sie überhaupt in den
Orden eintreten, bei uns Laien ist es anders wir können uns auswählen, wieviel
Laiengelübde wir wollen. Es gibt sogar die Möglichkeit nur Zuflucht zu nehmen
und die fünf Laiengelübde zunächst nicht zu nehmen und dann zu langsam
aufzubauen. So gibt es ganz bestimmte tibetische Ausdrücke, für jemanden der
nur eins der Gelübde hat, für jemanden der zwei, drei, usw. hat.
Diese ethische Disziplin zu schaffen bedeutet
also, daß man sich genau überlegt warum tue ich dieses und jenes und was hat
mein Handeln eigentlich für Folgen. Nur als Beispiel, das sexuelle
Fehlverhalten. Wenn man sich klar macht welches Leid man über eine Familie
bringt, wenn man z.B. den Mann verführt und dann, typisch Frau, auch eine
Beziehung will und nicht damit zufrieden ist ihn einfach so zu haben, dann wird
man vielleicht auch irgendwann den Wunsch haben dieses Gelübde zu nehmen. Dann
gibt es auch andere Aspekte, es heißt z.B. in manchen Texten auch, daß man am
Tag keinen Geschlechtsverkehr haben soll. Und da muß ich sagen, daß ich hierfür
bisher keinen Grund gefunden habe und es selber nicht ganz einsehe und
vielleicht das Gelübde in dem Punkt lieber noch nicht möchte. Ich denke man muß
hier sehr vorsichtig sein, da wir im tibetischen Buddhismus Überlieferungen
haben, die nicht immer explizit erklärt sind. Es wäre dann nicht ausreichend zu
sagen, daß dieses Gelübde vielleicht nur zustande kam, weil in Asien die
Bedingungen evtl. so waren, daß es sehr negativ angesehen war, wenn man da
erwischt wurde oder irgendwas. Denn es könnte sein, daß es dafür eine viel
tiefgründigere Ursache gibt, die ich bloß im Moment noch nicht kenne. D.h. man
läßt solche Sachen dann im Moment einfach offen und sagt, das ist in der
Tradition, wir werden sehen. Im Tantra wird sehr stark mit psychosomatischen
Veränderungen gearbeitet, es ist auch von Tageszyklen, die man im Körper hat,
die Rede und es könnte was damit zu tun haben.
Das nur als Beispiel dafür wie man mit dieser
ethischen Disziplin umgehen kann, ohne daß es zuviel wird. Wenn ich jetzt
dauernd meinem Mann sagen müßte, der ist, ganz nebenbei, kein Buddhist, du
darfst tagsüber nicht, daß wäre für unsere Beziehung z. B. ein bißchen
schwierig.
In den Texten selbst gibt es ein Beispiel:
"wenn ein Mensch dran gewöhnt ist, ständig zu töten, am laufenden Band
Menschen umzubringen, könnte man das Gelübde nehmen, für einen Nachmittag
zumindest, mal keinen Menschen zu töten, vielleicht Tiere aber keinen Menschen.
Das bedeutet also für uns Laien, daß es, zumindest nach Sakyapanditat auch
möglich ist die einzelnen Gelübde selbst zu differenzieren und Versprechen
abzulegen, die erst mal beschränkt sind. Es ist nicht notwendig gleich alle
fünf zu nehmen.
Dann zur Geduld. "Wenn jemand stirbt
oder ein Gefäß zerbricht, welchen Nutzen hat es darüber unglücklich zu sein?
Wasser ist von Natur aus naß, Erde hart, Luft beweglich und Raum leer. Da
Lebewesen von Natur unbeherrscht sind, ist Ärger gegenüber ihnen unsinnig. Die
Vorteile der Übung von Geduld in diesem Leben sind unerläßlich. Wie z. B. die
Fähigkeit Schaden durch andere zu ertragen ohne ihn zurückzugeben".
Sie haben schon gelacht und mich wundert’s
nicht, denn für uns, mit unserem komplizierten psychologischen Denken,
erscheint es oft zu einfach schlicht zu sagen, es bringt nichts, sich zu
ärgern. Dazu kann man sagen, daß einmal die dauerhafte Praxis, hoffe ich
zumindest, dazu führt, daß man eben selber auch etwas unkomplizierter wird. Daß
man die Dinge einfach nehmen kann. Bei Asiaten z. B. habe ich das oft
beobachtet, daß die da einfach eine größere Fähigkeit haben, als wir. In den in
den "Mutterunterweisungen" der Kagyü Tradition findet man eine sehr
einfache Anweisung. Wenn man wütend ist, Aufmerksamkeit weg vom Objekt, nicht
herunterschlucken, weil man sonst krank wird also nicht die Vorstellung
"Ich bin ein toller Mensch, ich habe keine Wut", sondern einfach den
Geist betrachten, so wie er ist, in seinem wütenden Zustand und nicht mehr an
den Menschen denken, der die Wut ausgelöst hat. Hinterher, ist es wichtig sich
dann zu sagen, ja meine Aggression war keine sehr gute Sache.
In diesem Moment der Reue gibt es wieder eine
sehr großes Problem für westliche Praktizierende. Nämlich, daß man sich gern
selbst zerfleischt, daß liegt halt eben auch an unserer christlichen Tradition,
nehme ich an, wo man eben dann einen Pfarrer braucht, der sagt, alles ist dir vergeben.
Bei uns ist das ja nun nicht der Fall, d.h. wir müssen selbst damit arbeiten.
Hier ist also ein deutlicher Unterschied, daß habe ich bei Übersetzungen
gemerkt, daß es fast unmöglich ist, einem tibetischen Lehrer überhaupt das
Problem klar zu machen, warum das für uns so schwierig ist. Also, möglichst
sachlich denken und sagen, das war jetzt nicht so gut und ich werde eben
versuchen in Zukunft mehr innere Kraft zu entwickeln. Man sollte sich nie als
"VorzeigeBuddhistIn" oder so was, darstellen wollen, denn dadurch
wird es praktisch sehr problematisch für eine, wenn man mal nach außen daneben
getreten ist. Das ist auch ein sehr wichtiger Aspekt. Man tut einfach was man
kann und fertig. Das hört sich jetzt zwar alles sehr banal an, aber ich habe
viele Praktizierende gesehen, die an solchen Dingen in ihrer Praxis gescheitert
sind.
Der Vorteil von Geduld ist natürlich, daß man
lernt frei zu handeln, daß man nicht mehr unter Zwang steht quasi den anderen,
die andere anschreien zu müssen, weil man nicht mehr anders kann, sondern das
man ihn nur anschreit, wenn man es aus irgendeinem Grund für richtig hält.
Die vierte paramita: Eifer, definiert als
Freude am Heilsamen. Also dieser Aspekt Freude ist zu beachten, also kein sich
"durchstressen" oder so was. Dazu eine Stelle: "Faulheit, das
Gegenteil der freudigen Bemühungen und des heilsamen, wird durch Anhaftung an
unheilsame oder weltliche Aktivitäten, wie Geschäfte oder soziale Treffen
ausgelöst, oder durch Enttäuschungen, die durch den Mangel von Ergebnissen in
den heilsamen Handlungen, zur Entmutigung in der Praxis führt oder durch
Selbstzweifel, durch das Gefühl, jemand wie ich kann niemals Fortschritte
machen." Und was ich hier so interessant finde ist, daß wir hier wieder
Probleme angesprochen haben, die wir im Westen nur zu gut kennen. Z. B. diese
Selbstzweifel, jemand wie ich, der kann ja sowieso nichts erreichen, das kommt
also hier in
alten tibetischen Texten vor, das geht sogar
noch zurück auf Shantideva also noch bis ins achte Jahrhundert mindestens
zurück. Oder die Ablenkung durch alle möglichen, sinnlosen Dinge, daß das als
Faulheit bezeichnet wird, ist also auch, denke ich, ein recht interessanter
Aspekt.
Dann zur Meditation, dem fünften der
paramitas: "Wie ein Wasserfall, der eine steile Klippe herunter stürzt,
ist ein ablenkbarer Geist schwer unter Kontrolle zu bringen und wird zu
unheilsamen Verhalten führen, daß einen im Daseinskreislauf festbindet und zu
niedrigeren Wiedergeburten führt." Das bedeutet bei dieser Form von
Meditation, Meditation hat viele Varianten im tibetischen Buddhismus, aber bei
der Form, die hier gemeint ist, geht es darum, daß der Geist sich konzentrieren
lernt. Und hier ist für Lieschen das einfachste, wenn sie sehr gestreßt ist und
das ist eine Empfehlung von tibetischen Lehrern, einfach kurz, aber oft zu
meditieren. Einer meiner Lehrer meinte z. B. bevor man den Zündschlüssel im
Auto umdreht. Einfach ganz kurz, zwei Minuten, solche Momente im Leben einfach
zur Gewohnheit machen, auch wenn es ganz kurz ist, es hat immer Sinn, es hat
Zweck.
Dann das sechste paramita die Weisheit. Da
zitiert Sakyapandita den Mahasiddha Saraha
"Wo Mitgefühl fehlt, wird man nicht
einmal durch Leerheit den Weg der Bodhisattva Aryas, Edle finden. Wenn nur
Mitgefühl geübt wird, verbleibt man im Daseinskreislauf ohne Befreiung zu
erlangen." Auch wenn wir jetzt mehr über Mitgefühl und die grundlegende
Praxis gesprochen haben, Leerheit oder die eigentliche Essenz sind essentiell
um wirklich weiter zu kommen. Und hier muß man dann wirklich auch einen Lehrer
suchen, der entsprechende Unterweisung gibt.
Sehr, sehr wichtig, finde ich für Lieschen,
daß sie eben nicht nach außen hin praktiziert, daß sie meint andern was
beweisen zu müssen. Und ein sehr wichtiges Zitat hierbei ist das von Geshe
Tschekawa Yeshe Dorje (1102 bis 1176): "Halte dich an den wichtigeren
unter den beiden Zeugen", findet sich in den sieben Punkten des
Geistestrainings. Mit den beiden Zeugen bin "ich" oder "der
andere" gemeint. Wenn der andere sagt, ich praktiziere toll und wenn ich
sage ich habe mich richtig bemüht, ob das so ist, daß weiß nur ich und das weiß
nicht einmal der Lehrer. Das also muß ich hier auch noch einmal betonen, denn
gerade im tibetischen Buddhismus, haben wir immer wieder das Problem, daß auf
die Lehrer zu viel projiziert wird. Nicht umsonst haben Tibetologen früher von
Lamaismus gesprochen, was erst so langsam ausstirbt, einfach wegen dieses
Mißverständnisses westlicher Praktizierender.
Ich habe das in Nepal mal sehr schön
beobachten können, wie Tibeter damit eigentlich umgehen. Mein tibetisch -
Lehrer hat von seinem Rinpoche, von seinem religiösen Lehrer, immer sehr
ehrerbietig gesprochen "er hat übersinnliche Wahrnehmungen, er kann alle
möglichen Wunden heilen, usw. Aber wenn es um Politik ging, dann hat er zu mir
gesagt, also wenn ich anderer Meinung bin, dann schweige ich einfach.". D.
h. also dieser totale Gehorsam, der hier oft falsch verstanden wird, der ist in
Tibet kulturell gar nicht so üblich gewesen. In den Texten wird das zwar
ständig betont, daß man den Lehrer wie einen Buddha sehen und gehorsam sein
soll, aber nicht nur, wie ich vorhin schon sagte, die Vielzahl von Lehrern
macht so etwas unmöglich, sondern es ist tatsächlich auch in Tibet kulturell so
verankert, daß es nicht so gehandhabt wird. Und das sind die Dinge die uns im
Westen hier oft fehlen. Dieses kulturelle Wissen darüber wie praktiziert man in
Tibet, um dann einschätzen zu können, wie praktiziert man wirklich, wie wendet
man es dann wirklich an.
Es gibt ein ganz seltenes Zitat, der Text ist
sehr bekannt aber die Tatsache, daß es mal so klar ausgesprochen wird, ist sehr
selten, denn wie gesagt begegnet uns in den tibetischen Texten ja eher immer
nur die große Verehrung der Lehrer, die fast als Buddha dargestellt werden und
zwar wird bei Gampopa (1079 bis 1153) in "Der kostbare Schmuck der
Befreiung" geschrieben: "Welcher Art von Lehrer wir begegnen hängt
von unserer eigenen Entwicklungsstufe ab. Da es uns Anfängern nicht möglich
ist, einen vollkommen Erwachten, oder Erwachenden, mit hoher Verwirklichung zu
folgen, stürzen wir uns zunächst auf einen gewöhnlichen geistigen Lehrer oder
eine Lehrerin." Gewöhnlicher Lehrer, das bedeutet, da Lieschen weiß, oder
wir selbst eben wissen, daß wir gewöhnliche Menschen sind, werden wir auch in unserem
Lehrer, wohl oder übel, gewöhnliche Eigenschaften sehen und denen begegnen und
müssen entsprechend damit umgehen, Mann oder Frau.
Abschließend möchte ich darum bitten, daß wir
nicht das Kind mit dem Bad ausschütten, wenn es in der tibetischen Tradition im
Moment, was den meisten von ihnen bekannt sein dürfte, sehr viele Differenzen
gibt, also Spaltungsgefahr in zumindest zwei der vier Schulrichtungen und
solche Dinge, daß das nicht bedeutet, daß die Schlüssel der Lehre selbst, die
ein/e LehrerIn weitergeben kann, deswegen wertlos werden, weil man z.B.
politisch aus irgendeinem Grund nicht mehr mit dem Lehrer übereinstimmen kann,
sondern daß es da wichtig ist die Qualitäten weiterhin als Qualitäten zu sehen.
Das hat auch der Dalai Lama mal, in Hamburg war es, sehr betont, daß wer
wirklich Dharma praktiziert, Qualitäten verehren oder Qualitäten Respekt
erweisen wird, wo immer er sie sieht. Und für den ist ein sektiererisches
Verhalten unmöglich. Er wird auch das Christentum respektieren, weil er da
einfach Qualitäten sieht und Toleranz entwickeln zu allen Religionen.
Wir müssen die Fähigkeit haben unsere
LehrerInnen auch dann zu respektieren, wenn wir z. B. LehrerInnen haben, die
auf den beiden politischen Seiten stehen und sich da total konträr gegenüber
stehen und müssen sie beide als Vermittler der Überlieferung, die uns die
Schlüssel gegeben haben, in diesem Punkt weiter respektieren können. Ich finde
sehr wichtig, daß wir da wirklich so handeln, wie wir es gern als Teenager
gesagt haben "Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin", daß
wir das einfach denen ihre Sache sein lassen und uns auf die Qualitäten
stützen.
Ganz zum Abschluß von Shantideva, fast so
eine Art Widmung jetzt, die eben auch noch mal zeigt, daß man sich einfach
wünscht in jeder Form, männlich, weiblich, in hoher Position, in niederer
Position, für andere tun zu können, was man kann, da heißt es bei Shantideva,
achtes Jahrhundert, im "Eintritt in das Leben zur Erleuchtung":
"Möge ich den Schutzlosen ein Beschützer
sein, ein Führer den Reisenden, denen die zum anderen Ufer wollen ein Boot, ein
Damm, eine Brücke, eine Lampe für die, die eine Lampe brauchen, ein Bett für
die, die ein Bett brauchen, ein Diener für alle Lebewesen, die einen Diener
brauchen. Wie die Erde und die anderen Elemente in vielfacher Weise den
unermeßlich vielfachen Wesen von Nutzen sind, die den endlosen Äther bevölkern,
so möge auch ich in vielfacher Weise allen Wesen nützen, die der Äther birgt
solange noch nicht alle erlöst sind."
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